Das autobiografisch geprägte fiktionale Schreiben ist gerade mächtig en vogue beim Lesepublikum. Der Norweger Karl Ove Knausgard schuf mit seinen sechs ausufernd dicken Bänden über sein eigenes Leben internationale Bestseller. Gerade bei uns entdeckt wird Annie Ernaux, die in Frankreich als Grande Dame der autofiktionalen Literatur gilt und die sich als „Ethnologin ihrer selbst“ bezeichnet. Auch deutsche Autoren nehmen sich erfolgreich das eigene Leben in mehrbändigen Romanen vor. Das Spektrum reicht von den vier monumentalen Bildungsromanen Ulla Hahns über ihr Alter Ego Hilla Palm bis zu der preisgekrönten Trilogie über das Mädchen April von Angelika Klüssendorf.
An einem der derzeit interessantesten autofiktionalen Projekte schreibt seit nunmehr zehn Jahren der 1967 im hessischen Bad Nauheim geborene Andreas Maier. Es heißt „Ortsumgehung“ und wird insgesamt aus elf kürzeren Romanen bestehen, die das Leben und die Erfahrungen des Autors im Hessischen widerspiegeln. Gerade ist Andreas Maier beim siebten Band der „Ortsumgehung“ angelangt, der den Titel „Die Familie“ trägt. Darin beschreibt er Legenden, Lügen und Tabus der eigenen Familie in Bad Nauheim, die aber stellvertretend für viele Familiengeschichten und -strukturen stehen. Auch dass Familien etwas durchaus mafioses haben können, ist eine Erkenntnis dieses zwischen Melancholie und Humor changierenden Romans. Wer „Die Familie“ liest wird große Lust bekommen auch die Vorgängerromane „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“, „Der Ort“, „Der Kreis“ und „Die Universität“ zu lesen. Das Schöne an diesem Zyklus ist, dass alle Romane der Reihe auch unabhängig voneinander lesbar sind, weil sie jeweils ihren eigenen Rhythmus und ihre eigenen Motive haben. (D. K.)
Auszeichnungen u. a.: Ernst-Willner-Preis, Literaturförderpreis der Jürgen Ponto Stiftung, aspekte-Literaturpreis (2000), Clemens-Brentano-Preis (2003), Stipendium Villa Massimo, Rom (2006), Robert Gernhardt Förderpreis (2009), Hugo-Ball-Preis, Wilhelm Raabe-Literaturpreis (2010), Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur (2011), Franz-Hessel-Preis (2012), Arno-Schmidt-Stipendium (2015).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Wäldchestag“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2000
– „Klausen“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002
– „Die Verführung. Thomas Bernhards Prosa“, Wallstein, Göttingen 2004
– „Kirillow“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005
– „Bullau. Versuch über Natur“, zus. m. C. Büchner, Heinrich & Hahn, Frankfurt a. M. 2006
– „Ich. Frankfurter Poetikvorlesungen“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2006
– „Sanssouci“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
– „Das Zimmer“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2010
– „Das Haus“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2011
– „Die Straße“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2013
– „Der Ort“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2015
– „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“, Suhrkamp, Berlin 2015
– „Der Kreis“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2016
– „Die Universität“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2018
– „Was wir waren“, Kolumnen, Suhrkamp, Berlin 2018
– „Die Familie“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2019