„Verkauft das Poetenfest doch einfach nach Zürich!“ war der Titel eines Artikels, mit dem Burkhard Spinnen deutschlandweiten Protest auslöste, als das Poetenfest 2002 aus finanziellen Gründen abgesagt werden sollte. Spinnen ist mit dem Poetenfest verbunden wie kaum ein anderer Autor. Auch der langjährige Berater und Moderator Hajo Steinert hat ganz besondere Erinnerungen: Es war 1991, da trat Burkhard Spinnen, damals 34 Jahre alt, geboren in Mönchengladbach, zum ersten Mal beim Erlanger Poetenfest auf. Damals fand es noch im Burgberggarten statt. Auch für mich war das damals ein Debüt. Meine erste Erlanger Moderation. Sonnenumflutet, schwitzend vor Aufregung, stiegen wir in den Ring. Wir sprachen auf der Bühne nicht nur über die Mühsal und Lust beim Schreiben, auch über seinen Fußballverein, Borussia Mönchengladbach natürlich, auch über die Liebe zu seiner Modelleisenbahn. Ein nicht nur intelligenter, nicht nur dem Spiel mit Sprache zugewandter Kopf, dieser Autor, ein brillanter Stilist im geschriebenen Wort und in der freien Rede zudem. So blieb das bis heute mit ihm.
„Dicker Mann im Meer“ hieß sein literarisches Debüt, eine nur dem ersten Anschein nach sommerliche Sammlung von zwölf Geschichten mit kleineren und größeren Alltagskatastrophen, für die er völlig zurecht den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Debüt erhielt. Erschienen im selben Verlag, in dem auch jetzt sein neuer Roman „Rückwind“ auf den Markt gekommen ist: dem Schöffling Verlag. So viel Treue eines Autors zu seinem Verlag – und eines Verlags zu seinem Autor – kommt nicht allzu oft vor in unserem durchtriebenen Gewerbe. Umso schöner als keine von seinen in kurzen Abständen erschienenen Stories und kein Roman (mit dem „Belgischen Riesen“ auch ein wunderbares Kinderbuch darunter) in der jährlichen Flut der Neuerscheinungen untergingen. Im Gegenteil. Der Autor stieg von einem Erfolg zum anderen in die Höhe. Aus dem klugen Germanisten wurde einer der sowohl in der Kritik als auch beim Publikum angesehensten Schriftsteller in unserem Land.
Neben seiner Arbeit als freiberuflicher Geschichtenerzähler und vielfach preisgekröntem Romanautor blieb er dem akademischen Milieu treu. Zum Beispiel als Gastprofessor am Literaturinstitut in Leipzig, wo er jungen, ihrerseits aufstrebenden literarischen Talenten mit Rat und Tat auf die Sprünge half. Unvergessen seine vor Witz und Intelligenz nur so sprühenden Diskussionsbeiträge als langjähriger Juror beim berühmt-berüchtigten Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. Doch im Vordergrund seines literarischen Lebens stand und steht das Erfinden von Geschichten, die vor allem dieses auszeichnet: Erfindungsreichtum, Realismus, meerestiefer Humor, Nahaufnahmen von Figuren, denen es auf der Welle gesellschaftlichen Fortschritts und wirtschaftlicher Prosperität kaum anders geht als damals dem „Dicken Mann“. Das Wasser reicht ihnen fast bis zum Hals. Sie stehen im Meer (mitten im Leben), es geht nicht vor, nicht zurück, sie straucheln, tauchen unter, es kommt zu Beinahe- und auch echten Katastrophen. Der Untergang droht! In seinem neuen Roman „Rückwind“ ist es ein vom grünen Zeitgeist getriebener Windenergieunternehmer, der von einem Tag auf den anderen alles verliert: sein Geschäft, seine Frau, sein Kind, sein Haus, seinen Verstand. Ob er am Ende Rettung findet? Gibt es auch für ihn einen Windsurfer, der angesegelt kommt und ihn, wie es dem dicken Mann im Meer vergönnt ist, im letzten Moment rettet? Oder wird es gar der liebe Gott im Himmel sein, der ihn von seiner Pein erlöst? (H. St.)
Auszeichnungen u. a.: aspekte-Literaturpreis (1991), Preis der Kärntner Industrie beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1992), Kranichsteiner Literaturpreis (1996), Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds (1996/97), Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (1999), Deutscher Hörbuchpreis (2007), Rheinischer Literaturpreis Siegburg (2008).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Dicker Mann im Meer“, Geschichten, Frankfurter Verlagsanstalt, 1991
– „Kalte Ente“, Geschichten, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 1994
– „Langer Samstag“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 1995
– „Trost und Reserve“, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 1996
– „Belgische Riesen“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2000
– „Der schwarze Grat. Die Geschichte des Unternehmers Walter Lindenmaier aus Laupheim“, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2003
– „Der Reservetorwart“, Geschichten, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2004
– „KlarsichtHüllen. Ein Dialog über Sprache in der modernen Wirtschaft“, zus. mit E. Posner, Hanser, München 2005
– „Kram und Würde“, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2006
– „Mehrkampf“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2007
– „Müller hoch Drei“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2009
– „Auswärtslesen. Eine Litanei“, Residenz, St. Pölten 2010
– „Nevana“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2012
– „Zacharias Katz“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2014
– „Hauptgewinn. Die Erzählungen“, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2016
– „Die letzte Fassade. Wie meine Mutter dement wurde“, Herder, Freiburg 2016
– „Das Buch. Eine Hommage“, Illustr. von L. Hoven, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2016
– „Und alles ohne Liebe. Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen“, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2019
– „Rückwind“, Roman, Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2019