Gibt es einen literarischen Text, der nie hätte geschrieben werden dürfen? Unter dieses Verdikt ist der Roman „Und ich war da“ des Bamberger Autors Martin Beyer beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt geraten. Es ging um eine Passage über die Hinrichtung von Mitgliedern der antinationalsozialistischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Aufgeregt diskutierte die Jury, weil Beyer aus der fiktiven Lebensgeschichte eines Mitläufers im Dritten Reich las, der sich als Helfer des Henkers verdingte.
Der historische „Nachrichter“ der Geschwister Scholl und ihrer Mitverschworenen hieß Johann Reichhart. Er lernte seinen Beruf in der Weimarer Republik und arbeitete nach Deutschlands Kapitulation im Zweiten Weltkrieg unter den Alliierten weiter. Über Reichhart hat Roland Ernst, Historiker, Publizist und Psychologe, die Biografie „Der Vollstrecker“ veröffentlicht. Wie um Martin Beyers Romanfigur entfaltet sich in Ernsts recherchiertem Text über den Scharfrichter ein gewöhnlicher Lebenslauf in autoritärer Zeit. Beide führen an den Abgrund des Todes.
Ist die Arbeit des Tötens ein Ausdruck des Bösen in der Welt? Kann dieses Böse banal sein? Wird der sakralisierte Status der Opfer durch die Schilderung banaler Täter beschädigt? Und gibt es Tabuzonen des Unsagbaren in der Literatur?
Herbert Heinzelmann
Martin Beyer: Und ich war da. Roman. Ullstein. Berlin, 30. Aug 2019
Roland Ernst: Der Vollstrecker. Johann Reichhart. Bayerns letzter Henker. Biografie. Allitera Verlag. München, Mrz 2019