Gisela von Wysocki ist eine der eigenwilligsten und sprachlich ausgefeiltesten Autorinnen unserer Zeit. Aufgewachsen im Berliner Umland als Tochter von Eltern, die abends am Klavier saßen und Schlager komponierten. Viele davon wurden sehr bekannt. Ausgebildet als Schülerin des Philosophen Theodor W. Adorno in Frankfurt im Denken und in der Sprache vom Wiener Autor Peter Altenberg. Zur Sprache kam die Musik von Schönberg bis Willibald Gluck. Nach ihrer Promotion hätte sie in die Wissenschaft gehen können, Gisela von Wysocki entschied sich für die Literatur und rüttelte 1980 mit dem Band „Die Fröste der Freiheit“ (über Autorinnen wie Sylvia Plath, Virginia Woolf, Unica Zürn u. a.) eine ganze Generation weiblicher Leserinnen wach. Genau und blicköffnend erweiterte Gisela von Wysocki das Bewusstsein für weibliche Qualität, spezielle literarische Fähigkeiten, für mutigen Eigensinn. „Die Fröste der Freiheit“ – das kann man sich heute kaum vorstellen – ermöglichte den Raum für Debatten und plädierte für die Freiheit des Denkens. Gisela von Wysocki bezeichnet sich als Feministin, die Männer miteinbezieht. Das bemerkt man auch an ihren Essays, Hörspielen, Prosaessays und ihren beiden Romanen „Wir machen Musik“ und „Wiesengrund“.
Zeitgeschichte der Nachkriegsjahre wird in beiden Romanen aus einer persönlichen Sicht erzählt; bildhaft, mit Klugheit, schöner Ironie und unnachahmlichem Witz. Können Sie sich vorstellen, einen berühmten Philosophie-Professor in eine Zoohandlung zu begleiten oder im Lift, über die Köpfe der anderen hinweg, von ihm angesprochen zu werden? Ausgerechnet im Lift! Aber: Wie lernt man das eigentlich, das genaue Denken, werden wir Gisela von Wysocki fragen und wie schafft man den Schwung von „high zu low“, von der Philosophie zum Humor, vom Weinen zum Lachen? Gisela von Wysockis geistige Flexibilität reagiert auch auf das Heute und die Vielfalt, der aus den Fugen geratenen, durchgeschüttelten, frostig-heißen Gegenwart.
Verena Auffermann
aktuell: Wiesengrund. Roman. Suhrkamp. Berlin 2016