„Unter allen Künstlern bin ich der Einzige, der einen geglückten Selbstmord überlebt hat.“ Solche funkelnden Pointen sind typisch für das polemische Temperament des Dichters und Erzählers Gerhard Falkner, der seit drei Jahrzehnten die Welt der Literatur immer wieder mit aufrührerischen Büchern in Unruhe versetzt. 1989, im Jahr der Zeitenwende, hatte der 1951 in Schwabach geborene Dichter, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, nach seinem dritten Gedichtband „wemut“ seinen Ausstieg aus dem amusischen Literaturbetrieb angekündigt. Doch es dauerte nicht lange, bis er seine selbstauferlegte poetische Mangelwirtschaft durchbrach und mit „Endogene Gedichte“ und dann mit dem Band „Hölderlin Reparatur“, für den er 2009 den Peter-Huchel-Preis erhielt, der Lyrik neue Horizonte erschloss. 2016 legte Falkner mit dem aufwühlenden Großstadtepos „Apollokalypse“ seinen ersten Roman vor, ein aufregender Versuch über die rauschhaften Selbstbefreiungsversuche einer hedonistischen Generation im Berlin der Wendezeit. Ein Jahr später folgte der für den Deutschen Buchpreis nominierte Liebesentzauberungsroman „Romeo oder Julia“.
In seinem neuen Gedichtbuch „Schorfheide“ hat Falkner nun das Naturgedicht auf neue Fundamente gestellt. Ausgangspunkt seines kühnen Projekts ist die Beobachtung, dass die Dichter im digitalen Zeitalter „nicht mehr zwischen einer Hecke und einem Drahtzaun unterscheiden“ können und stattdessen in jeder freien Minute unentwegt aufs Handy starren. Dagegen führt Falkner virtuos vor, wie man das Naturschöne mit den Fachsprachen der Linguistik, der Informationstheorie und der Gewässerkunde verbinden kann. Der naturhistorische Stoffgrund dieser Gedichte ist die Schorfheide, die großen, von Seen, Mooren und Feuchtbiotopen durchzogenen Waldgebiete im nördlichen Brandenburg, die einst als Jagdrevier dem preußischen Königshaus und zuletzt der politischen Elite der DDR vorbehalten waren. Hier sind aufregende Gedichte entstanden, die unsere digitale Welt im Blick haben und gleichzeitig „unterm Freilichthimmel“ und „ohne Netzabdeckung“ neue „Kritische Wälder“ erschaffen. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Stipendium Villa Massimo, Rom (1986), Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1986, 1998), Bayerischer Staatsförderpreis (1987), Stipendium Schloss Wiepersdorf (1998), Stipendium Akademie Schloss Solitude (2003), Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung (2004), Spycher: Literaturpreis Leuk (2006), Kranichsteiner Literaturpreis (2008), Preis für Kunst und Wissenschaft der Stadt Nürnberg (2010), Wolfram-von-Eschenbach-Preis (2014), Aufenthaltsstipendium des Künstlerhauses Edenkoben (2015).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „so beginnen am körper die tage“, Gedichte, Luchterhand, Darmstadt 1981
– „der atem unter der erde“, Gedichte, Luchterhand, Darmstadt 1984
– „wemut. gedichte“, Luchterhand, Frankfurt a. M. 1989
– „X-te Person Einzahl. Gedichte“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1996
– „Der Quälmeister. Nachbürgerliches Trauerspiel“, DuMont, Köln 1998
– „Endogene Gedichte. Grundbuch“, DuMont, Köln 2000
– „Gegensprechstadt – ground zero“, Gedicht, mit CD, Musik: D. Moss, kookbooks, Idstein/Berlin 2005
– „Bruno. Eine Novelle“, Berlin Verlag, 2008
– „Hölderlin Reparatur“, Gedichte, Berlin Verlag, 2008
– „Kanne Blumma“, Gedichte, ars vivendi, Cadolzburg 2010
– „Der letzte Tag der Republik / The Last Day of the Republic“, zus. mit R. Reynolds, mit DVD, starfruit publications, Fürth 2011
– „Ignatien. Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs“, deutsch-englisch, übers. ins Englische von A. Cotten, starfruit publications, Fürth 2014
– „Apollokalypse“, Roman, Berlin Verlag, 2016
– „Romeo oder Julia“, Roman, Berlin Verlag, 2017
– „Schorfheide. Gedichte en plein air“, Berlin Verlag, 2019