Das Jahr steht im Zeichen Theodor Fontanes: Am 30. Dezember vor 200 Jahren wurde er geboren. Auch die Literaturkritikerin Anne-Dore Krohn und der Literaturkritiker Denis Scheck feiern Fontane, reduzieren ihn aber nicht auf den Verfasser heute harmloser Geschichten von Herzeleid und Ehebruch im alten Preußen. Er lieferte in seinen Büchern einen Spiegel der politischen und gesellschaftlichen Kräfte seiner Zeit. Und er erfand Figuren, so lebensnah und glaubwürdig, dass sie einen ein Leserleben lang begleiten: Effi Briest und Dubslav von Stechlin zum Beispiel, oder Jenny Treibel oder Schach von Wuthenow. In ihrer literarischen Revue zeigen Krohn und Scheck Fontane in seiner Komplexität und seinen Widersprüchen: Den Barrikadenkämpfer von 1848 und den Wendehals wenige Jahre später, der sich als „Fronarbeiter mit dem Geiste“ bei der erzreaktionären Kreuzzeitung verdingt und im Auftrag der preußischen Regierung als Journalist getarnt in London „Fake News“ produziert, den Balladendichter, den Militärschriftsteller und den Wanderer in Schottland und der Mark Brandenburg. Auch der Antisemitismus des alten Fontane wird thematisiert – und die Ende des Zweiten Weltkriegs verlorenen Manuskripte, die so etwas wie das Bernsteinzimmer der deutschen Literaturgeschichte darstellen.
Anne-Dore Krohn
Mit Übertragung in Gebärdensprache