„Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück“: Das Diktum von Karl Kraus erweist vor allem in der Lyrik seine Wahrheit. Denn je genauer sich die Dichter und Dichterinnen unserer Tage das von ihnen bis in seine Mikro-Elemente hinein bearbeitete Sprachmaterial anschauen, desto fremder und veränderungsbedürftiger erscheinen ihnen die Wörter. „Sprahahache, ach! bewegtes Gefilde“: So beginnt ein Gedicht der Münchner Dichterin Karin Fellner, das die fremde Nähe unserer scheinbar selbstverständlichen Sprechweisen und Wörterverwendungen auslotet. „Lässt dieses Paar sich in zwei Komponenten zerlegen?“, fragt ein weiteres Gedicht, das nicht nur die grammatikalische Affinität eines (Liebes-)Paares erkundet, sondern auch die Möglichkeiten, wie „eins: zum andern“ kommt.
In ihrem neuen Band „eins: zum andern“ unternimmt Karin Fellner den Versuch, ihr lyrisches Sprechen zu öffnen, für O-Töne, für Zitate, für ein Gegenüber. Dabei verzweigen sich die Texte in unterschiedlichste Richtungen und nehmen auch Fragmente aus dem Englischen, Französischen und Spanischen in sich auf: „Es-tu seule, mein Seel, bist du Salz darauf gehen/ Soldatinnen, soelli mued von den ständigen Sohlen?/ willst du draufgehn, weil: fühlst dich so nah am Boden/ sowohl als auch nicht solid, hors sol oder grassoden, shit ...“
Die Lust am Wortklang, an Lautverschiebungen, Verwandlungen und Sprachspielereien aller Art bestimmen ihre Art des Schreibens. 1970 in München geboren, studierte Karin Fellner Psychologie in Konstanz und Literaturwissenschaft in München, wo sie seither als Autorin, Schreibcoach und Lektorin lebt. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Leonce-und-Lena-Förderpreis (2005), Förderpreis für Lyrik der Internationalen Bodenseekonferenz (2006), Bayerischer Kunstförderpreis für Literatur (2008), Medienpreis beim Lyrikpreis Meran (2012), Literaturstipendium des Freistaats Bayern (2018).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Avantgarde des Schocks“, Gedichte, Parasitenpresse, Köln 2005
– „in belichteten wänden“, Gedichte, Yedermann, München 2007
– „hangab zur kehle“, Gedichte, Yedermann, München 2010
– „Ohne Kosmonautenanzug“, Gedichte, Parasitenpresse, Köln 2015
– „eins: zum andern“, Gedichte, Parasitenpresse, Köln 2019