Manchmal gibt es die richtige Entscheidung einfach nicht
Die junge Journalistin Josefa Nadler schreibt eine Reportage über die sächsische Industriestadt Bitterfeld. Sie berichtet von maroden Fabriken, von deren giftigen Emissionen, von ihren Begegnungen mit den Arbeitern, von einer trostlosen, verseuchten Umwelt. Josefa, die zwischen Beruf und Privatleben ihre oft anarchischen Wünsche und Sehnsüchte nach Freizügigkeit und Autonomie zu realisieren versucht, radikalisiert sich in dem Maße, in dem die Widerstände ihrer Umgebung wachsen. „Flugasche“ war Monika Marons erster Roman. Sechs Jahre vor Christa Wolfs „Störfall“ kritisierte sie offen und ungeschminkt die Umweltverschmutzung in der DDR. Folgerichtig wurde der Roman 1981 auch nur in Westdeutschland veröffentlicht.
Monika Maron wurde 1941 in Berlin geboren. Als sie zehn Jahre alt war zog sie mit ihrer Mutter von West- nach Ostberlin zu ihrem Stiefvater Karl Maron, der von 1955 bis 1963 Innenminister der DDR war. Als Schülerin engagierte sich Monika Maron in der FDJ. Nach dem Abitur arbeitete sie ein Jahr als Fräserin in einem Industriebetrieb, dann als Regieassistentin beim Fernsehen, studierte Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte und arbeitete als Journalistin bis ihr mit „Flugasche“ der Durchbruch als Schriftstellerin gelang. Die Distanz gegenüber dem DDR-Regime wurde nun jedoch immer deutlicher. „Eigentlich ist sowas kein Bruch, sondern eine langsame Entwicklung. Im Grunde habe ich angefangen, als Kind über Dinge zu stolpern, ohne dass ich mich distanziert hätte. Dann zögert man den Schritt zu gehen und irgendwann ist man draußen.“
Eine Wissenschaftlerin, die eines Morgens bemerkt, dass sie nicht mehr gehen kann, steht im Mittelpunkt von Monika Marons zweitem Roman „Die Überläuferin“. Große Aufmerksamkeit erzielte Ende der 1980er-Jahre ihr deutsch-deutscher Briefwechsel mit Joseph von Westphalen, der wöchentlich im Zeit-Magazin und anschließend als Buch unter dem Titel „Trotzdem herzliche Grüße“ erschien. In dieser Zeit wurden Monika Maron einige Reisen ins westliche Ausland ermöglicht, 1988 verließ sie schließlich mit einem Dreijahresvisum die DDR und zog mit ihrer Familie nach Hamburg.
Noch vor Ablauf des Visums gab es die DDR nicht mehr. In einer Reihe von Aufsätzen, Essays und Vorträgen kommentierte Maron die politischen Entwicklungen und gab Auskunft über ihre eigene Haltung zu der sich wandelnden DDR, zur deutschen Vereinigung und zu den Gründen für ihren Weggang. Besonderes Aufsehen erregte ihr Essay „Zonophobie“, eine emotionale und, wie sie selbst einräumt, vielleicht auch „ungerechte“ Auseinandersetzung mit der zum „Alptraum“ gewordenen deutschen Einheit und mit den „ehemaligen Staatsbürgerschaftsgefährten“.
In den Jahren nach der Wende folgen unter anderem mit „Stille Zeile sechs“, „Animal triste“, „Endmoränen“, „Ach Glück“ und „Zwischenspiel“ zahlreiche erfolgreiche Romane, wichtige Literaturpreise und eine Poetik-Gastdozentur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Mit dem vielbeachteten Reportagebuch „Bitterfelder Bogen“ kehrte Monika Maron 2009 dann an den Schauplatz ihres Debütromans zurück und berichtet über die tiefgreifenden Veränderungen in der Region.
Auch in jüngster Zeit sind es die gesellschaftlichen Veränderungen in der ehemaligen DDR, die die meinungsfreudige und streitbare Autorin nicht zur Ruhe kommen lassen. Wie einige andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller in den neuen Bundesländern versucht sie, die diffusen Ängste der Menschen nachzuvollziehen. Unter teils heftiger Kritik des Literaturbetriebs veröffentlichte Monika Maron mehrere islamkritische Artikel, äußerte sich negativ über den medialen Umgang mit dem Dresdener Schriftsteller Uwe Tellkamp und wehrte sich vehement gegen die Zwänge der sogenannten „Political Correctness“. Warum setzt sich eine hoch geachtete Autorin diesem Risiko aus? Ansätze könnte Monika Marons jüngster Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ liefern, in dem es ebenfalls um diffuse Ängste geht. Sie beschreibt darin, wie in einer kleinen Straße die Anwohner durch eine verrückte Sängerin in den Wahnsinn getrieben werden. Die Protagonistin, die an einem Buch über den Dreißigjährigen Krieg arbeitet, reagiert mit Rückzug in die Nacht. „Diese nächtliche Arbeit hat auch mit Einsamkeit zu tun. In der Nacht wachsen sich Dinge manchmal auch aus. Und sie schreibt über den Dreißigjährigen Krieg. Wo es ja auch so ist, dass die Situation in Syrien in vielem an der Dreißigjährigen Krieg erinnert. Dass ein Krieg, der woanders stattfindet, aber seine Schatten voraus wirft und seine Vorboten schickt, das kann einen ja schon zum Nachdenken bringen.“ Monika Maron legt Wert darauf, dass sie in dem Buch nichts behauptet, sondern nur Fragen stellt. „Antworten weiß ich ja selber nicht auf so schwere Fragen.“
aktuell: Munin oder Chaos im Kopf. Roman. S. Fischer. Frankfurt a. M., 2018